Das sagt die Wissenschaft: So kann Entwicklungspolitik helfen, Fluchtursachen nachhaltig zu bekämpfen
Ein Dorf in Niger, eine Kleinstadt in Afghanistan oder ein vom Bürgerkrieg zerstörtes Viertel in Aleppo: Hier beginnen viele Migrationsgeschichten. Für einen erheblichen Teil der Menschen ist der Weg nach Westen kein Traum, sondern ein letzter Ausweg. Sie verlassen ihre Heimat nicht aus Abenteuerlust, sondern aus Mangel an Alternativen – getrieben von fehlender medizinischer Versorgung, Arbeitslosigkeit, Krieg oder den Folgen des Klimawandels. Wer in solcher Not steckt, lässt sich durch Grenzzäune und Zurückweisungen kaum aufhalten.
Welche Möglichkeiten haben wir also, um zu verhindern, dass sich jedes Jahr Hunderttausende auf die gefährliche Flucht nach Europa begeben müssen?
Perspektiven vor Ort mindern den Migrationsdruck
Studien zeigen: Vor allem eine bessere Grundversorgung entfaltet enorme Wirkung. In Subsahara-Afrika haben Menschen um 27 Prozent geringere Auswanderungsabsichten, wenn sie den Eindruck haben, dass Schulen und Krankenhäuser funktionierten. Zum Vergleich: Während ein höheres Einkommen nur vier Prozent der Unterschiede in Migrationsplänen erklärt, macht die Zufriedenheit mit dem Lebensstandard etwa 20 Prozent aus. Mit Abstand am wichtigsten sind also funktionierende staatliche Strukturen.
Das bestätigen auch Erfahrungen des Nothilfe-Treuhandfonds der EU für Afrika (EUTF): In Regionen, in denen die öffentliche Infrastruktur zielgerichtet verbessert wurden, stieg die Zufriedenheit mit Bildungs- und Gesundheitssystemen binnen weniger Jahre um fünf bis zehn Prozentpunkte - und mit ihr sank der Wunsch, die Heimat zu verlassen.
Entwicklungszusammenarbeit wird hier zum wichtigen Hebel. Denn konkrete Projekte zeigen nicht erst nach Jahrzehnten ihre Wirkung: Schon die Aussicht auf bessere Schulen, medizinische Versorgung oder gut bezahlte Arbeitsplätze lässt Menschen optimistischer in die Zukunft blicken - und reduziert die Zahl der Asylanträge. Gezielte Investitionen in die Gesundheitsinfrastruktur und in Bildung sind nicht nur nachhaltiger, sondern können langfristig auch günstiger sein, als die Kosten von langwierigen Asylverfahren und Aufnahme.
Konflikte und Klimawandel als Treiber der Flucht
Untersuchungen, welche im Jahr 2013 erschienen sind, legen nahe, dass neben Armut und fehlender Infrastruktur vor allem Gewalt und Unsicherheit zentrale Gründe für Migration sind. In Asien erklärten Sicherheitsrisiken rund 25 Prozent der Auswanderungspläne, in Lateinamerika 19 Prozent und in Afrika neun Prozent. Entwicklungszusammenarbeit, die den Ausbruch neuer Konflikte verhindert und staatliche Strukturen stärkt, wirkt wie eine Versicherung gegen Fluchtbewegungen. Studien belegen zudem: In stabilen Staaten sind Entwicklungsprojekte im Schnitt signifikant erfolgreicher als in fragilen. Politische Stabilität, Sicherheit und kluge Entwicklungshilfe verstärken sich also gegenseitig.
Ein weiterer Treiber von Fluchtbewegungen ist schon heute der Klimawandel. Dürren, Überschwemmungen und Ernteausfälle zerstören Lebensgrundlagen. Millionen Menschen müssen ihre Dörfer verlassen, weil ihre Felder unfruchtbar werden. Entwicklungszusammenarbeit, die auf Anpassung setzt, etwa durch Bewässerungssysteme, resilientere Saaten oder nachhaltige Landwirtschaft, schafft Bleibeperspektiven. Wer seine Ernte und Lebensgrundlage sichern kann, muss nicht in die nächste Stadt oder nach Europa fliehen.
Nicht jede Hilfe wirkt
Doch nicht jede Form der Hilfe erzielt den gewünschten Effekt. Eine Studie von den Komoren ergab: Direkte Geldtransfers führten vor Ort dazu, dass Menschen das zusätzliche Einkommen nutzten, um Schlepper zu bezahlen, die eine kurze Überfahrt ins französische Überseegebiet Mayotte anboten. Das Beispiel verdeutlicht zweierlei: Kontext ist wichtig. Migrationsmöglichkeiten unterscheiden sich deutlich von Ort zu Ort. Und: Steigt lediglich das verfügbare Einkommen, steigen oft auch die Möglichkeiten zur Migration. Erst wenn sich die Lebensbedingungen spürbar verbessern, sinken die Migrationszahlen tatsächlich.
Auch Information spielt eine Rolle. Aufklärungskampagnen, die die Gefahren irregulärer Migration aufzeigen, können kurzfristig Wirkung entfalten. In Guinea etwa führte eine simple Vorführung eines Aufklärungsfilms dazu, dass zehn bis zwanzig Prozent der Zuschauer ihre Fluchtpläne überdachten. Doch solche Maßnahmen bleiben eine Ergänzung zu tatsächlichen Entwicklungsmaßnahmen. Wer keine Perspektive vor Ort hat, wird sich langfristig jedoch kaum von Warnungen abhalten lassen.
Kluge Entwicklungszusammenarbeit ist eine langfristige Investition
Eins ist klar: Nicht allein die Höhe der Hilfsgelder ist entscheidend, sondern ihr strategischer Einsatz. Investitionen in Bildung, Gesundheit, Stabilität nach Konflikten und Anpassung an den Klimawandel wirken nachweislich und nachhaltig.
Entwicklungszusammenarbeit ist deshalb keine bloße Wohltätigkeit. Sie ist eine strategische Investition in globale Sicherheit und Stabilität. Sie gibt Menschen die Möglichkeit, in ihrer Heimat zu bleiben, weil sie es wollen, nicht weil ihnen andere Wege verschlossen sind.
Die Autoren
Prof. Dr. Tobias Heidland und Prof. Dr. Rainer Thiele, Kiel Institut
für Weltwirtschaft