Entwicklungszusammenarbeit: Mehr als moralische Verpflichtung

Während in Berlin über die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit verhandelt wird, ist eine zentrale Frage bislang zu wenig beleuchtet: Was bringt Entwicklungshilfe eigentlich den Geberländern selbst?
Ein neues Working Paper des Kiel Instituts für Weltwirtschaft liefert darauf eine überraschend klare Antwort – und rückt die alte Vorstellung von Entwicklungshilfe als moralische Pflicht ohne Eigennutz zurecht. Die Autoren zeigen: ODA (Official Development Assistance) erzeugt nicht nur Wirkung im Globalen Süden, sondern auch konkrete, messbare Rückflüsse für die Geberländer. In drei Bereichen wird das besonders deutlich – Wirtschaft, Sicherheit und Geopolitik.
Hilfe, die Märkte schafft
Entwicklungszusammenarbeit ist wirtschaftlich alles andere als ein Zuschussgeschäft. Programme wie „Aid for Trade“ steigern nicht nur die Exportfähigkeit von Partnerländern, sondern auch den Absatz deutscher Produkte. Ein zusätzlich investierter Dollar in handelsbezogene Hilfe kann Exporte des Geberlandes um mehr als einen Dollar erhöhen – mit deutlichen Unterschieden zwischen einzelnen Ländern.
Besonders deutlich wird das am Beispiel Japans. Dort stieg der Rückfluss pro Aid-Dollar von rund 1,40 auf über 2,60 US-Dollar. Diese strategische Investition schafft hier also vor allem auch neue Absatzmärkte für den Geber.
Auch empirische Modelle zeigen, dass Aid for Trade Handelsströme in beide Richtungen ankurbelt. Eine Verdopplung der Hilfsgelder führt im Schnitt zu fünf Prozent mehr Exporten aus dem Empfänger- in das Geberland – und zu rund drei Prozent mehr Importen aus dem Geberland in das Empfängerland.
Noch stärker wirken gezielte Investitionen in Infrastruktur, Bildung und Regierungsführung. Studien zeigen, dass ein Dollar Entwicklungshilfe in diesen Bereichen langfristig rund zwei Dollar an zusätzlichem ausländischem Kapital in die Partnerländer ziehen kann. Damit entstehen nicht nur neue Märkte, sondern auch stabile Investitionsbeziehungen, von denen exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland profitieren.
Entwicklungszusammenarbeit als sicherheitspolitisches Instrument
Auch sicherheitspolitisch wirkt Hilfe stabilisierend – und damit präventiv. Frühzeitige Investitionen in fragile Staaten können erhebliche Folgekosten vermeiden. Laut aktuellen Berechnungen lassen sich mit einem Dollar in präventive Konfliktvermeidung im Schnitt 26 bis 103 Dollar an späteren Kosten einsparen – etwa für Fluchtbewegungen, humanitäre Einsätze oder militärische Interventionen.
Deutschland gab im Jahr 2016 über 20 Milliarden Euro aus, um die unmittelbaren Folgen der globalen Fluchtbewegungen zu bewältigen – darunter Milliardenbeträge für Maßnahmen, die man durch gezielte Stabilisierungspolitik im Vorfeld hätte verhindern können.
In einer zunehmend fragmentierten Weltordnung ist Entwicklungspolitik damit weit mehr als humanitäre Hilfe: Sie ist eine Form der internationalen Risikovorsorge – und deutlich günstiger als die nachträgliche Reparatur.
Aufbau strategischer Partnerschaften
Auch außenpolitisch kann ODA ein strategisches Instrument sein. Staaten, die zeitweise im UN-Sicherheitsrat sitzen, erhalten deutlich mehr bilaterale Hilfe – insbesondere in Jahren, in denen wichtige Abstimmungen anstehen.
Entwicklungspolitik kann also auch als Instrument genutzt werden, um neue politische Partnerschaften zu etablieren. In afrikanischen Ländern verbessert qualitativ hochwertige und transparent eingesetzte Hilfe das Ansehen des jeweiligen Geberlandes – während rein wirtschaftlich motivierte Programme ohne klare Wirkungserfolge kaum Vertrauen schaffen. Wahrnehmung, Transparenz und Glaubwürdigkeit entscheiden darüber, ob Hilfe auch zu politischem Kapital wird.
Gerade im Wettbewerb mit autoritär geführten Staaten, die auf schnelle Infrastrukturinvestitionen ohne Transparenz setzen, braucht es verlässliche, partnerschaftliche und wirkungsorientierte Angebote. Entwicklungshilfe kann dabei als Brücke wirken – zwischen wirtschaftlicher Zusammenarbeit, wertebasierter Diplomatie und geopolitischer Präsenz.
Entwicklungszusammenarbeit ist strategisches Investment – kein Kostenfaktor
Das IfW Kiel kommt zu in ihrem Research Paper zu einer klaren Schlussfolgerung: Entwicklungszusammenarbeit nützt nicht nur den Empfängern. Sie ist – klug eingesetzt – ein Investment in die eigene wirtschaftliche Resilienz, sicherheitspolitische Stabilität und außenpolitische Handlungsfähigkeit.
Wer jetzt den Rotstift ansetzt, spart nicht – er entwertet politisches Kapital. Denn in einer Welt, in der sich neue Machtzentren formieren, ist Entwicklungszusammenarbeit kein „Nice-to-have“ mehr. Sie ist Teil aktiver Interessenpolitik – im besten Sinne.